Stolpersteine gegen das Vergessen

Am 9. November 2023 gestalteten Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 10 und Q1 eine Stolperstein-Gedenkveranstaltung, um an das Schicksal von drei jüdischen Familien aus Treysa zu erinnern.

Hierbei handelte es sich um die Familie Strupp, die in der Bahnhofstraße 36 lebte und einen Bauhandel betrieb. Emanuel Strupp hatte im Ersten Weltkrieg für die Deutschen gekämpft. Er, seine Frau Martha und die gemeinsame Tochter Inge Brigitte fühlten sich nach 1933 in Treysa nicht mehr wohl und flohen 1934 nach Holland. Später wurden sie dort in Westerbork interniert und am 19. November 1943 in Auschwitz ermordet.

Die zweite Stolpersteinverlegung in der Wagnergasse 33 galt Bertha Katzenstein, die dort mit ihrem Mann Salomon und Tochter Johanna lebte. Die Familie betrieb dort eine Modewarenhandlung. Das Haus wurde im Oktober 1933 in Brand gesteckt und die Familie zum Umzug gezwungen. Tochter Johanna war früher Schülerin des Schwalmgymnasiums, damals noch als „Höhere Knaben- und Mädchenschule“ bekannt. Was aus ihr wurde, ist unbekannt. Bertha Katzenstein starb 1940, ihr Mann Salomon wurde etwas später deportiert und 1942 in Theresienstadt ermordet.

Vier Stolpersteine wurden in der Wagnergasse 22 für weitere Angehörige der Familie Katzenstein verlegt: das Ehepaar Julius und Gertrud Katzenstein, ihre Tochter Ruth und Julius’ Neffe Wolfgang. Alle vier emigrierten in den 1930ern nach Palästina und überlebten den Holocaust. Ihre Nachfahren leben heute noch.

Die Schülerinnen und Schüler des Wahlpflichtkurses 10 „Bilinguale Geschichte“ beschäftigten sich in den letzten Unterrichtswochen intensiv mit diesen Familienschicksalen und dem Stolperstein-Projekt. Sie nahmen auch an einem Vortrag von Frau Demnig teil, der Ehefrau des „Stolperstein-Erfinders“ Gunter Demnig. Weiterhin zeigten sie ein großes Engagement während des Kuchenverkaufs, um die Herstellung der Stolpersteine mitzufinanzieren. Zusätzliche Spenden kamen vom Elternbund, vom ehemaligen Kollegen Bernd Lindenthal und aus dem Reformations-Projekt von Frau Ludes / Frau Liebau-Holstein, das 2020 mit einem Preisgeld vom Rotary-Club gekrönt wurde.

Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von weiteren Schülerinnen und Schülern der Klasse 10a und der Jahrgangsstufe Q1 unter Leitung von Frau Dr. Sievers. Besonders eindrücklich waren die ausgewählten Gesangsstücke, die trotz Dauerregens mit verschiedenen Instrumenten und viel Engagement vorgetragen wurden. Gefilmt wurde die Veranstaltung dankenswerterweise vom ehemaligen Kollegen Fritz Praetorius.

Das Datum des 9. November ist bewusst gewählt. Genau vor 100 Jahren, am 9. November 1923, führte Adolf Hitler einen Putschversuch in München durch. Damals scheiterte er noch, aber nur wenige Jahre später etablierte er mit seiner Partei die nationalsozialistische Diktatur, die den Völkermord an 6 Millionen Jüdinnen und Juden vollzog.

Am 9. November 1938, vor genau 85 Jahren, fand die Reichspogromnacht statt. Tausende jüdische Wohn- und Geschäftshäuser und Synagogen wurden geplündert und in Brand gesteckt. Zehntausende Juden im Deutschen Reich wurden verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Viele weitere wurden aus ihren Häusern geholt, verprügelt, gedemütigt, vertrieben und / oder getötet. Hier in Treysa wurden sogar Schüler aus der damaligen Stadtschule dazu instrumentalisiert, die ersten Steine in jüdische Wohnhäuser zu werfen und jüdische Geschäftshäuser zu plündern. Auch das Geschäft der Katzensteins in der Wagnergasse 22 wurde zerstört.

In den letzten Jahren wurde der 9. November wiederholt als Termin für Stolperstein-Verlegungen gewählt, um ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen. In Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Trutzhain wurden insgesamt schon über 65 Stolpersteine in Treysa und Ziegenhain verlegt. Diese „kleinen Gedenkstätten“, wie Herr Cimiotti die Steine in seiner Rede nannte, sollen uns alle zum „gedanklichen Stolpern“ anregen. Denn die Beschäftigung mit den Schicksalen unserer heimatvertriebenen jüdischen Nachbarn soll uns mahnen, dass sich die NS-Geschichte nicht wiederholt.

Wir alle können und müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass Intoleranz, Hass und Gewalt gegenüber Minderheiten keinen Platz an unserer Schule und in unserem Land finden.